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Feminizid

2. Feminizid in der Schweiz im Jahr 2025

Am 26. Januar wurde in Lodrino im Tessin eine Frau getötet.

Sie war 21 Jahre alt und stammte aus Rumänien. Sie lebte nicht in der Schweiz. Das ist alles, was wir bis jetzt über die Frau wissen, die Opfer eines Feminizids wurde. Sie wurde von einem Mann aus dem Leben gerissen, der sie als sein Eigentum betrachtete.

Das Einzige, was wir heute für sie tun können, ist, weiterhin gegen Feminizide und alle Formen patriarchalischer Gewalt zu kämpfen.

Wir werden nicht zulassen, dass ein weiterer Feminizid von der Polizei, die von einem “Blutvergiessen” spricht, oder den Medien, die über ein “morgendliches Drama” berichten, unsichtbar gemacht wird. Denn nur dank der Arbeit verschiedener feministischer Kollektive wissen wir heute, dass etwa die Hälfte aller Morde in der Schweiz Feminizide sind. So viele Leben, die hätten gerettet werden können, wenn wir nicht in einer Gesellschaft leben würden, die patriarchale Gewalt banalisiert.

Allen, die diese junge Frau geliebt haben, senden wir viel Kraft und Mut.

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Aktion Feminizid

Patriarchale Gewalt sichtbar machen

Vor einigen Tagen ereignete sich in Gümligen (BE) ein versuchter Feminizid. Ein weiteres Mal wurde deutlich, dass patriarchale Gewalt nicht nur ein abstraktes Konzept ist, sondern bittere Realität – hier, in unseren Quartieren, in unserem Alltag. Wir wollen diese Gewalt nicht hinnehmen, wir wollen nicht schweigen, sondern uns gemeinsam gegen diese patriarchale Gewalt organisieren.

In Gedanken sind wir bei der überlebenden Frau und drücken unsere Solidarität aus. Wir hoffen, dass du dich von diesem Angriff erholt und wünschen dir viel Kraft. Falls du das liest, du kannst dich jederzeit bei uns melden!
Mit dem Transparent wollen wir aber auch die Menschen im Quartier erreichen, die vielleicht gar nicht mitbekommen haben, was sich in ihrer Umgebung ereignete. Wir rufen allgemein Menschen dazu auf, nicht wegzusehen, denn patriarchale Gewalt ist keine Privatangelegenheit, sie geht uns alle etwas an.

Das Aufhängen dieses Transparentes ist kein blosser symbolischer Akt. Es ist ein Versuch, die Normalisierung von patriarchaler Gewalt aufzubrechen. Solche Taten geschehen nicht aus dem Nichts. Sie sind Ausdruck einer tief verwurzelten gesellschaftlichen Struktur, die Gewalt gegen Frauen, weiblich gelesene Menschen und queere Menschen duldet, verharmlost und oft unsichtbar macht.

Es ist jedoch nicht genug, wenn wir bloss schockiert sind über diese Gewalt. Wir müssen handeln. Patriarchale Gewalt wird nicht enden, wenn wir die Verantwortung nur auf die Betroffenen abwälzen oder den Tätern individuelle Schuld zuschreiben, ohne die Strukturen dahinter zu hinterfragen. Als Gesellschaft müssen wir aktiv werden: zuhören, unterstützen und solidarisch handeln.


Lasst uns kollektiv für eine Welt kämpfen, in der solche Taten keinen Platz mehr haben.

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Feminizid

Schwarze Woche: 1 Feminizid, 2 Versuche, 1 möglicher Feminizid

Schweiz, wir haben ein Problem!

Ein weiterer möglicher Feminizid in Vouvry (VS) und je ein versuchter Feminizid in Gümligen (BE) und Lausanne (VD).

Es war eine schwarze Woche. Am letzten Freitag (17. Januar)  wurde ein Frau in Gümligen (BE) schwer verletzt und gestern Morgen (21. Januar) eine weitere Frau in Lausanne. Beide ringen momentan um ihr Leben. Unsere Gedanken sind bei ihnen, schicken ihnen ganz viel Kraft und wir hoffen von ganzem Herzen, dass sie es schaffen. Wir denken auch an diejenigen, die sie kannten und lieben.

Letzte Woche meldete die Walliser Kantonspolizei auch den Tod einer Frau, die nach einer Kopfverletzung gestorben ist. Wie so oft, wissen wir nichts mehr, als was die Polizei kommuniziert hat. Sie verletzte sich in der Wohnung ihres Partners, der auch die Sanität gerufen hat. Wir wissen nicht, ob es sich um einen Feminizid handelt. Wir sind dennoch in Gedanken bei ihr und ihren Liebsten.

Was in Vouvry geschah zeigt auf, wie schwierig es ist, über Feminizide zu berichten. Oft müssen wir uns auf die spärlichen Informationen von der Polizei und aus den Medien verlassen. Wer unsere Texte regelmässig liest, weiss, wie kritisch wir der Polizei gegenüber eingestellt sind. Auch wollen wir nicht zu Richterinnen werden, sondern bekämpfen die zutiefst patriarchale Idee von Gerichten und Bestrafung. Es ist gleichzeitig aber äusserst wichtig, dass wir über die Umstände eines Todes informiert sind. Nur so können wir alle dafür sorgen, dass Gewalt an Frauen und trans Personen nicht weiterhin unsichtbar bleiben. Zögert nicht, an uns oder an lokale feministische Gruppen zu schreiben, falls ihr die betroffenen Personen gekannt habt!!

Das wenige, was wir über den versuchten Feminizid in Lausanne wissen, ist, dass zwei weitere Personen verletzt wurden, als sie der angegriffenen Frau halfen. Das soll uns nicht Angst machen, sondern zeigt, wie wichtig es ist, dass wir hinschauen und eingreifen. Der Ort, wo der Angriff stattfand, liegt in der Nähe eines Frauenhauses. Das zeigt ein weiteres Problem auf: In der Schweiz gibt es viel zu wenig Frauenhäuser. Wer sich von einer gewalttätigen Person trennen oder entfernen will, hat oft nicht einmal Platz in einem Frauenhaus. Wenn es einen Platz gibt, dann ist sofort klar, in welchem Frauenhaus – weil es ja nur eines pro Stadt oder Region gibt. Es braucht mehr Plätze, es braucht finanzielle Unterstützung, es braucht geheime Wohnungen – und zwar jetzt, sofort!!

Wir lassen uns trotz dieser Nachrichten nicht entmutigen. In Biel waren wir zahlreich, um auf den Feminizid von letztem Donnerstag zu reagieren. Wir werden immer mehr, wir werden immer stärker und eines Tages werden wir das Patriarchat entwurzeln und keine Feminizide mehr beweinen müssen!

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Aktion Feminizid Statement

Kundgebung nach dem 1. Feminizid 2025 in Biel

Redebeiträge während der Kundgebung
„Als ich gestern die Nachricht unserer ermordeten Schwester gelesen habe, war ich voller Trauer. Ich fühlte mich gelähmt, überfordert, verloren… Mein Kopf war voller Gedanken, bei jedem Feminizid frage ich mich „Wie kann so etwas passieren – immer und immer wieder? Wie wenig sind unsere Leben wert?“
In der Traurigkeit, fand ich auch meine Wut und die Antwort die wir wohl alle kennen. Wir leben in einem System, welches unsere Leben abwertet. Wir lernen von früh auf, dass unsere Worte kein Gewicht haben, dass unsere Körper anderen mehr gehören als uns selbst, dass „Liebe weh tut“ und Gewalt aus Liebe ausgeübt wird, dass eine Tote keinen Aufschrei wert ist.


In der Zeitung steht „Ehe-Streit der ausser Kontrolle gerät“, Männer – Täter – werden freigesprochen, da sie aus Verzweiflung oder Affekt Handeln würden, nicht wüssten, was sie tun. Das System, die Mächtigen stehen nicht auf unserer Seite, denn auch sie bedienen sich an unseren Körpern und denen unserer Schwestern.
Etwas lässt mich nicht los, wenn ich an die Tote denke. Ich kann nicht aufhören zu denken, dass ihre Ermordung vielleicht verhinderbar gewesen wäre. Die Polizei in Biel ist momentan bekannt dafür, wie verantwortungslos und gewaltvoll sie mit Opfern umgeht. So warten Menschen, die wegen häuslicher Gewalt anrufen länger auf die Polizisten, als jemand der wegen Lärmbelästigung anruft. Frauen, die Übergriffe melden und einen Bericht schreiben lassen, wird ihr Recht verwehrt das Protokoll zu lesen und es abzusegnen – es wird von Polizisten als „überflüssig“ abgetan. So wissen wir nicht, was sie aufschreiben & was in die Akten kommt, haben noch weniger Chancen Gerechtigkeit zu erfahren in diesem System. Denn sowieso hilft uns die Polizei fast nie, weil ihr System gegen uns ist. Doch die Chance Mehrfachtäter zu bestrafen, diese verwehren uns die Bieler Polizisten, an ihren Händen klebt unser Blut.
Das Patriarchat mordet, doch wir wollen uns lebend – nicht eine weniger.
Lasst uns gemeinsam traurig sein, von der Trauer zur Wut, von der Wut zum Widerstand. Gemeinsam sind wir stark.
Denjenigen, die an der Bedeutung der Versammlung zweifeln, da es bislang keine Beweise für einen Feminizide gibt, möchten wir entgegenhalten, dass aufgrund der Art und Weise, wir die Polizei kommuniziert, deutet alles darauf hin, dass es sich um einen gewaltsamen Tod handelt. Die Statistiken zeigen, dass die meisten Morde an Frauen in der Schweiz Feminizide sind, auch wenn das erst später durch eine Untersuchung bewiesen wird. Dieses Timing führt dazu, da Feminizide gewissermassen unsichtbar gemacht werden, und nimmt uns die Möglichkeit, diese untragbaren Taten öffentlich anzuprangern. Es ist unsere Pflicht, das Vergessen und die Banalisierung aller Formen von Gewalt gegen Frauen une queere Menschen.
Wird eine Person verletzt, werden wir alle verletzt!

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Feminizid

Feminizid des Jahres 2025 in Biel

Das Jahr hat gerade erst begonnen und wir erfahren, dass eine unserer Schwestern tot in ihrer Wohnung an der Güterstrasse in Biel aufgefunden wurde. Wir kennen weder ihren Namen, noch ihr Alter, noch die genauen Umstände ihres Todes. Ihre Nachbarin erzählte den Medien, dass die Polizei schon mehrmals bei ihr gewesen sei.
Wir können nicht anders, als zu schreien, dass dieser Tod hätte vermieden werden können. Feminiziden gehen immer andere Formen von Gewalt voraus, die oftmals ignoriert oder bagatellisiert werden. Der Kampf für ein Ende der Feminizide ist ein Kampf gegen ein ganzes System, das Frauen und queere Menschen abwertet und objektiviert. Wir werden diesen Kampf so lange wie nötig weiterführen.


In unserer Vorstellung existiert eine feministische Gesellschaft, in der wir leben möchten, bereits. Wir fangen bereits an, sie zu bauen, sie zu erfinden. Und es ist diese Perspektive, die uns trägt und die uns die Kraft und Entschlossenheit zum Kampf gibt.

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Internationales

3 feministische Aktivistinnen der Frauenorganisation Zenobia in Menbij ermordet

Ihr Mut und ihre Entschlossenheit, für die Rechte der Frauen zu kämpfen, werden nicht vergessen werden!
Qamar, Aisha und Iman wurden am 10. Dezember in Menbij von Dschihadisten, die im Auftrag der Türkei operierten, ermordet.
Zenobia schreibt „Sie waren Genossinnen, die ein lebendiges Beispiel für Opferbereitschaft, Entschlossenheit und Mut im Kampf für die Würde und Freiheit der Frauen und der gesamten Gesellschaft gaben.“ Zenobia ist die wichtigste Organisation, die sich für die Rechte der Frauen in den mehrheitlich arabischen Gebieten im Norden und Osten Syriens einsetzt.
Während die von Hayat Tahrir al-Scham (HTS) angeführte Offensive zum Sturz des Assad-Regimes geführt hat, nutzt die Türkei das Chaos aus, um Rojava über ihre Stellvertreterin, die Syrische Nationale Armee (SNA), anzugreifen. Seit Ende November wurden mehr als 100.000 Menschen gezwungen, aus der Region Shehba zu fliehen, wo die meisten von ihnen bereits nach der Besetzung von Afrin durch pro-türkische Kräfte Zuflucht gesucht hatten. Erdogan macht keinen Hehl aus seinen Ambitionen, die gesamte Region zu besetzen. Damit ist das gesamte revolutionäre Projekt von Rojava bedroht. Kobane, die Stadt, die weltweit für ihren erbitterten Kampf gegen Daech bekannt ist, wird nun direkt ins Visier genommen.

Die Revolution in Rojava ist ein zeitgenössisches Beispiel, das die Hoffnung wieder aufleben lässt, dass das Patriarchat, selbst in seinen gewalttätigsten und barbarischsten Ausprägungen, bekämpft werden kann. Sie ist ein Beispiel für die immense Kraft, die in der Organisation von Frauen liegt.
Zenobia verkörpert diese Stärke und Entschlossenheit. Als sie den Tod ihrer drei Aktivistinnen bekannt gab, schrieb sie: „Das Martyrium unserer Kameradinnen ist ein klarer Beweis für die Grausamkeit der türkischen Aggression, aber trotzdem sind wir entschlossener denn je, unsere Anstrengungen zu verdoppeln und unseren Kampf gegen diese Aggression zu verstärken. Wir werden in die Fussstapfen unserer gefallenen Kameradinnen treten und unseren Kampf fortsetzen, bis wir unsere Ziele erreicht haben. Wir werden ihre Opfer nicht vergessen und hart arbeiten, um ihre Hoffnungen und Ziele zu erfüllen. Wir werden weiterhin die Fahne des Widerstands hochhalten und der ganzen Welt beweisen, dass wir nicht in die Knie gehen und uns nicht besiegen lassen werden. Unsere tapferen Genossinnen haben Samen der Hoffnung in unsere Herzen gepflanzt und wir werden sie pflegen, bis sie wachsen und Früchte tragen. Das Blut der Märtyrerinnen wird nicht umsonst sein und wir werden unseren Widerstand fortsetzen, bis unser Land befreit ist und Gerechtigkeit herrscht“. Für Qamar, für Aisha und für Iman werden wir weiterhin gegen das patriarchalische System und seine Kriege kämpfen, gegen die imperialistischen Kräfte, die Mesopotamien in Brand setzen und auslöschen. Wir rufen alle Feministinnen auf, sich den Mobilisierungen anzuschliessen, die insbesondere von der kurdischen Gemeinschaft in der Schweiz organisiert werden, um die Errungenschaften der Revolution in Rojava zu verteidigen.

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Feminizid

18. und 19. Feminizid in der Schweiz im Jahr 2024

Am 27. November 2024 starb eine 94-jährige Frau in Basel, weil ihr Sohn sich geweigert hatte, Hilfe für die schwer erkrankte Frau zu holen.


Am 3. Dezember 2024 wurde eine 61-jährige Frau in Renens (VD) von ihrem Ehemann ermordet.

Eine Generation und eine Sprachgrenze trennt die beiden Frauen, doch beide wurden aus dem Leben gerissen, weil Männer aus ihrem Umfeld entschieden hatten, dass sie nicht mehr leben dürfen. Im einen Fall hat der Sohn es nicht zugelassen, dass seine Geschwister einen Arzt oder eine Ambulanz schicken. Er liess seine Mutter tagelang leiden und als die Sanitäter*innen schliesslich kamen, liess er sie nicht in die Wohnung. Im anderen Fall rief der Ehemann den Notfall, weil seine Frau leblos sei. Später gab er zu, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.


Zwei weitere Frauen, die nicht mehr lachen, nicht mehr weinen, nicht mehr träumen und sich nicht mehr fragen können, was der nächste Tag mit sich bringen wird. Zwei weitere Freund*innenkreise und Familien, die trauern. Wir sind in Gedanken bei ihnen und wünschen ihnen viel Kraft.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und schon wieder haben unzählige Frauen, trans und nicht-binäre Personen durch patriarchale Gewalt in der Schweiz das Leben verloren. 2023 waren über die Hälfte der Morde in der Schweiz Feminizide. Dieses Jahr wird es auch nicht anders sein. Schockierend ist nicht nur die schiere Anzahl kaltblütiger Morde (denn es handelt sich in den wenigsten Fällen um Affekttaten), schockierend ist nicht nur die häufig brutale Vorgehensweise (der Sohn der in Basel gestorbenen Frau sah ihr beim Sterben zu) – schockierend ist auch, dass es keinen grösseren Aufschrei gibt!
Wir sind traurig über jeden einzelnen Feminizid, der 2024 nicht verhindert werden konnte. Das entmutigt uns aber nicht! Wir haben dieses Jahr nicht nur um unsere verstorbenen Geschwister getrauert, wir haben uns auch mehr vernetzt, wir haben mehr Leute erreicht, wir sind stärker geworden. Jede Träne, die wir um eine Person weinen müssen, die durch Feminizid gestorben wird, verwandelt sich in Wut und Kraft. Wir kämpfen weiter, damit dieser Massenmord endet. Gemeinsam werden wir das Patriarchat entwurzeln und umstürzen, damit wir eines Tages sagen können: Kein einziges Geschwister weniger, ni un@ menos!

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Feminizid

17. Feminizid in der Schweiz 2024

Eine 65-jährige Frau wurde am 26. November in Morbio Inferiore TI getötet.
Es ist der 17. Feminizid in der Schweiz im 2024.

Nur einen Tag nach dem internationalen Kampftag gegen patriarchale Gewalt wurde in Morbio Inferiore eine Frau auf tragische Weise durch patriarchale Gewalt aus dem Leben gerissen. Unsere Gedanken sind bei ihr und bei all den Menschen, die sie geliebt haben, die diesen Verlust nun verarbeiten müssen.
Die Medien berichten, dass die Nachbarschaft in Morbio Inferiore schockiert ist, da die Tat in einer „ruhigen und normalen“ Gegend geschah. Doch genau darin liegt das Problem: patriarchale Gewalt findet überall statt, unabhängig von sozialen, wirtschaftlichen oder geografischen Kontexten. Sie ist tief in unsere Gesellschaft eingeschrieben und wird durch ihre Allgegenwärtigkeit oft unsichtbar gemacht oder gar als „Einzelfall“ abgetan.
Diese Tat erinnert uns schmerzhaft daran, dass das Patriarchat niemals ruht. Hinter jeder Statistik und jeder Nachricht über einen Feminizid steht ein Mensch, dessen Leben durch Gewalt zerstört wurde – ein Leben, das wir niemals vergessen dürfen.
Doch während wir um die Getötete trauern, dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben.
Wir müssen erkennen, dass keine Gegend, kein Zuhause und kein Umfeld von patriarchaler Gewalt automatisch verschont bleibt. Solange wir diese Strukturen nicht aufbrechen, bleibt die Gewalt nicht die Ausnahme, sondern ein normalisiertes Element unserer Gesellschaft.


Gemeinsam können wir eine Gesellschaft schaffen, in der patriarchale Gewalt keinen Platz mehr hat. Jede*r von uns kann ein Teil des Widerstands sein.

Lasst uns weiterkämpfen, uns organisieren und solidarisch bleiben.


Für ein Leben frei von Gewalt!

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Veranstaltung

✊Internationaler Kampftag gegen patriarchale Gewalt✊

❤️‍🔥Kundgebung zum 25. November❤️‍🔥

Bis jetzt wurden im Jahr 2024 in der Schweiz 18 Frauen ermordet. 18 von denen wir wissen. Feminizide werden von den bürgerlichen Medien und Justiz verharmlost und legitimiert, obwohl alle zwei Wochen eine Frau Opfer eines Feminizids wird.

Unter Feminizid verstehen wir die Morde an Frauen und Mädchen aus frauenfeindlichen Motiven.
Das betrifft auch feminisierte Menschen, also Menschen, die gesellschaftlich in die Kategorie Frau
gezwungen werden, obwohl sie sich mit einem anderen Geschlecht identifizieren, etwa als nicht-binär oder trans.

Weltweit werden Flinta-Personen von Faschisten gehetzt, vom Kapitalismus ausgebeutet und vom Rassismus und Patriarchat ermordet. Sie wollen die bestehenden Machtverhältnisse schützen und ihre Privilegien weiter ausbauen.

Kollektiv organisieren wir uns gegen diese mehrfache patriarchale Gewalt und solidarisieren uns mit feministischen Kämpfen weltweit. Wir benennen diese lebensgefährlichen Ungerechtigkeiten und kämpfen kollektiv für eine Welt ohne toxische Männlichkeit, sexualisierte Gewalt und Feminizide.

Am 25. November werden wir auf dem Ni-Una-Menos-Platz (ehem. Helvetiaplatz) um 19:00 den Ermordeten, den Überlebenden und den Hinterbliebenen gedenken.

Die Nacht wird lang sein ✊❤️‍🔥.

Kollektive Wut geballt gegen patriarchale Gewalt!
Wir wollen uns lebend!
Ni una menos!

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Internationales

Eindrücke eines revolutionären Aufstands im Iran

Dies ist die Zusammenfassung eines Podcast, in dem Chowra Makaremi, eine französische Wissenschaftlerin mit iranischen Wurzeln, erklärt, wie der Aufstand der Jin JiyanAzadî Bewegung die Säulen des iranischen Regimes ins Wanken gebracht hat. Sie beleuchtet insbesondere, wie Solidarität und Empathie das Gefühl der Gleichgültigkeit in der Gesellschaft ersetzt haben. Ihre Analyse über die Verankerung des Protests in der Macht der Trauer und wie sich die Forderung nach Gerechtigkeit für die Ermordeten von den direkt betroffenen Familien auf die gesamte Bevölkerung ausgeweitet hat, gibt uns Denkanstösse für unsere Kampagne gegen Feminizide. Rüttelt der Kampf gegen

  • Feminizide an den Grundpfeilern der Schweizer Regierung?
  • Was führt dazu, dass jedes Jahr Dutzende von Feminiziden in Gleichgültigkeit begangen werden können?
  • Wie kann man die Hoffnung als Kampfpraxis kultivieren?
  • All dies sind Fragen, die uns Chowra Makaremi anregt, zum darüber nachzudenken.

Am 16. September 2022 stirbt die kurdisch iranische Studentin Mahsa Jina Amini in Polizeigewahrsam, nachdem sie von der Polizei festgenommen wurde, weil sie ihren Schleier falsch getragen hatte. Am selben Tag geht das Land in Flammen auf und während der Demonstrationen legen mehrere Frauen ihren Schleier ab und marschieren unter anderem mit dem Ruf “Frau, Leben, Freiheit”, der sich an dem kurdischen feministischen Slogan “Jin Jiyan Azadî” orientiert, durch die Strassen. Die Demonstrationen erstrecken sich über das ganze Land und zeigen eine seltene Solidarität zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen sowie zwischen unterschiedlichen Geschlechtern. Diese Bewegung, deren Ausmass in der Geschichte des Mullah-Regimes beispiellos ist, wirft eine alte Frage der politischen Philosophie auf, nämlich die nach der Möglichkeit von Aufstand, Ungehorsam und Revolution.

Chowra Makaremi ist Anthropologin, Forscherin am CNRS und Spezialistin für staatliche Gewalt. In ihrem Buch “Femme Vie Liberté” erzählt sie die Chronik dieses Aufstandes aus der Distanz. Auch wenn die grossen Demonstrationen schliesslich zum Erliegen kamen und die Regierung standhielt, handelte es sich ihrer Meinung nach um einen revolutionären Aufstand, der mehrere Pfeiler der seit der Revolution von 1979 bestehenden Islamischen Republik frontal angriff.

  • Wann hört eine Gesellschaft auf, daran zu glauben, dass sich durch Wahlen etwas ändern lässt?
  • Was führt dazu, dass ein Regime zusammenbricht oder eben nicht
  • Was macht eine Revolution aus?

Der Aufstand, der 2022 im Iran begann, hat revolutionäre Ausmasse, weil er alle Bevölkerungsschichten vereint, überall im Land gleichzeitig stattfindet und einen Sturz des Regimes fordert. Die Bewegung Frau Leben Freiheit hat die roten Linien des Regimes überschritten, indem sie bestimmte Themen in den Mittelpunkt der Debatte stellte, über die nicht gesprochen und über die nicht verhandelt werden durfte. Diese roten Linien wurden von einem Terrorregime gezogen, das Gewalt normalisiert und sie so verleugnet. Die Frage der Kopftuchpflicht ist eine dieser roten Linien, die lange Zeit Gegenstand von Verhandlungsversuchen war, ohne jemals in Frage gestellt zu werden. In den Jahren 2000-2010 kämpften iranische Feminist*innen, die bereits äusserst aktiv und sehr gut organisiert waren, für absolut wichtige Reformen wie Bürgerrechte, Erbschaftsfragen oder das Recht, Sport zu treiben. Ihre Strategie bestand darin, zu verhandeln, was verhandelt werden konnte, ohne die Grundlagen des Regimes in Frage zu stellen.

Wenn Frauen im Jahr 2022 auf die Strasse gehen, ihren Schleier ablegen und ihn verbrennen, verwandeln sie die Grenzen des öffentlichen Raums in Barrikaden. Dieser Aufstand ist revolutionär, weil er die Säulen des Regimes ins Wanken bringt, mit denen es seine Hegemonie aufrechterhalten und eine Macht sichern kann, die nicht nur durch die Kraft der Kalaschnikow funktioniert, sondern auch durch einen Zusammenhalt und Zustimmung, durch den der Status quo von der Zivilgesellschaft bis zu einem gewissen Grad akzeptiert wird. 

Die drei Säulen, die 2022 zusammenbrachen, sind das Affektregime, die Werte und die Modi der kollektiven Identifikation. 

Die kollektive iranische Identität wurde um eine Gründungserzählung herum aufgebaut, in der das Mullah-Regime als einziger legitimer Erbe der Revolution von 1979 dargestellt wird, wobei die Märtyrer der Revolution von 1979 und des Irakkriegs gefeiert wurden. Doch im Jahr 2022 stimmte die iranische Identität plötzlich nicht mehr mit der Identität der Islamischen Republik überein. Iranische Fans pfiffen ihre Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft in Katar im Fussballstadion aus. Slogans wie “Ich werde kämpfen, ich werde sterben, ich werde den Iran befreien” wurden skandiert. Der Iran wurde plötzlich als von einer Clique der herrschenden Eliten besetzt wahrgenommen und es kam zu einer Trennung zwischen der wahrgenommenen Realität im Iran und der Islamischen Republik. Diese Trennung ist jedoch relativ neu.

Der Aufstand von 2022 führt auch zu einer Umkehrung der Werte, in dem Mut statt Vorsicht gelebt wird. Es kursieren Videos, in denen junge Mädchen sich gegen Milizionäre wehren, die sie auffordern, sich erneut zu verhüllen. Diese Formen von Widerstand auf der Strasse wären vor einigen Jahren noch als Wahnsinn oder Hysterie wahrgenommen worden. Oder wären vielleicht als Formen des radikalen Extremismus gesehen worden. 

Diese Veränderung des Wertesystems ermöglicht eine Veränderung des Affektregimes, das auf Gleichgültigkeit beruhte. Diese Gleichgültigkeit, die mit dem Individualismus und der Atomisierung der Gesellschaft einherging, verhinderte, dass Empathie für andere empfunden wurde. Diese Gleichgültigkeit ist ein soziales Konstrukt – und ein Schlüsselelement des Regimes, um seine Hegemonie aufrechtzuerhalten. Es ist die gleiche Gleichgültigkeit, die dazu führt, dass man an Menschen, die bei Minusgraden auf der Strasse leben, vorbeigehen und diesen Zustand akzeptieren kann. Es bedarf einer ganzen sozialen Ordnung, um solche Dinge zuzulassen. In ähnlicher Weise wurden im Iran die Familien von politischen Gefangenen in einen Freizeitpark namens Luna Parc gerufen, um Nachrichten von ihren Angehörigen zu erhalten. Ich habe das erlebt, als ich klein war und meine Mutter im Evin-Gefängnis inhaftiert war. In diesem extrem gewalttätigen Raum, in dem Mütter zusammenbrachen, weil ihnen die Hinrichtung ihrer Kinder angekündigt wurde, und von den Wärtern gewaltsam abtransportiert wurden, assen Menschen Eis und Zuckerwatte und amüsierten sich. Jahre später, wenn ich zurückblicke, denke ich, dass das völlig verrückt war. Um diese Gleichgültigkeit herzustellen, spielt die staatliche Gewalt eine grundlegende Rolle. Paradoxerweise führt die Tatsache, dass viele öffentliche Hinrichtungen mit einer öffentlichen Inszenierung stattfinden, dazu, dass man sich daran gewöhnt. Es wird zu etwas Alltäglichem, aber auch zu einem Spektakel, das der Bevölkerung zeigt, auf welchem Level sie sich befinden. Die Frage der Toleranzschwelle ist wichtig in einem Land wie dem Iran, wo die Todesstrafe nicht nur für den Verkauf von Drogen, sondern auch für den blossen Besitz von Drogen gilt. Und die Tatsache, dass viele junge Männer wegen Drogen hingerichtet werden, erhöht die Schwelle der Empfindlichkeit für Gewalt. Dadurch kann mehr politische Gewalt ausgeübt werden. Doch im Jahr 2022 gab es kein Rückzug in die Gleichgültigkeit, stattdessen bedeutete der Tod von Mahsa Jina Amini die Rückkehr von Empathie und Solidarität. Formen des Protests, die zuvor nur von Aktivist*innen und Familienangehörigen politischer Gefangener genutzt wurden (wie z.B. die Forderung nach Gerechtigkeit für die Toten) wurden auf die gesamte Zivilgesellschaft ausgeweitet. Der Protest gegen die Macht hat sich mit der Trauer verbunden sowie mit einer Art und Weise, sich äusserst solidarisch und empathisch zu zeigen. Die Emotionen angesichts der Ungerechtigkeit des Todes von Mahsa Jina Amini wirkten auf die Mobilisierung einer Bewegung, die das Land innerhalb weniger Tage in Brand setzte. Die Bevölkerung hörte auf, sich von den Familien der Hingerichteten abzuwenden und sich von ihnen zu distanzieren, wie meine Familie es in den 1980er Jahren am eigenen Leib erfahren hatte. Der Jin-Jiyan-Azadî-Aufstand forderte über 500 Todesopfer, aber trotz der Unterdrückung und Repression, trotz des Risikos, verhaftet, gefoltert und zum Tode verurteilt zu werden, protestierten die Iraner*innen weiter. Die wiedergewonnene Empathie ging über die Familien der Opfer hinaus und war die emotionale Triebfeder der Revolte.

Wenn man mich fragt, ob der Aufstand eine Chance hat, die Macht zu stürzen, denke ich, dass wir uns im Herzen eines politischen und philosophischen Missverständnisses befinden.

Man braucht keine guten Gründe, um optimistisch zu sein, denn die Frage des politischen Mutes artikuliert sich in der Hoffnung. Wenn man auf den Bus rennt, überlegt man nicht die ganze Zeit, ob man ihn erreicht oder nicht, sondern man rennt, weil man ihn erreichen will. Auch als das ukrainische Volk einer totalen Invasion Russlands gegenüberstand, bewerteten sie nicht ihre Erfolgschancen, da es darum ging, sich in einen Überlebenswiderstand zu begeben. Das Problem ist, dass wir hier (in Westeuropa) die Praxis der Hoffnung als eine Praxis des Kampfes, eine kollektive Praxis, verloren haben. Mut ist etwas, mit dem man in Resonanz geht – etwas, dem man ein Echo gibt, und nicht etwas, das man von aussen beklatscht, indem man seine Erfolgschancen bewertet. Wir stehen hier vor enormen politischen und sozialen Herausforderungen und sind nicht kollektiv gewappnet, um sie zu bewältigen, da wir jede Praxis der Hoffnung und jede politische Vorstellung davon, wozu Mut dient, verloren haben.

Wenn wir anfangen, den Iraner*innen zu applaudieren, sind wir verloren. Es geht im Gegenteil darum, von ihnen zu lernen, um einschätzen zu können, wie revolutionäre Aufstände immer wieder die Möglichkeit eröffnen, scheinbar unumstössliche Ordnungen zu stürzen. Denn auf diese Weise wird Hegemonie aufgebaut, indem der Eindruck erweckt wird, dass die Fiktion der Macht die Realität der Macht ist. Das Regime im Iran stand auf ideologischen Säulen, die ihm nicht nur den Gehorsam, sondern auch die Zustimmung des Volkes sicherten, indem es eine Politik der Gewalt und der Leugnung dieser Gewalt kombinierte, die Geschichte umschrieb und die Fiktion einer möglichen Reform vorgaukelte. Der Aufstand von 2022 hat diese Säulen aufgelöst und auch wenn die Demonstrationen selten geworden sind, hat die Islamische Republik endgültig ihre Legitimität verloren und hält sich nur noch mit Gewalt aufrecht. Daher ist sie früher oder später zum Fallen verurteilt.

Der Podcast zum Anhören hier (auf Französisch):

https://www.arteradio.com/son/61685349/quoi_tient_une_revolution

Und ihr Buch: “Frau! Leben! Freiheit!”, das die vielfältigen Ursprünge des Jin-Jiyan-Azadî-Aufstandes identifiziert und versucht, den revolutionären Umschwung dieser Bewegung zu erfassen:

https://www.editionsladecouverte.fr/femme__vie__liberte_-9782348080449