Kategorien
Statement

Buchkritik

Nos pères, nos frères, nos amis – Weshalb es sich nicht lohnt, dieses Buch zu lesen

Der Untertitel dieses Buchs, das kürzlich auf Französisch erschienen ist, lautet « Was im Kopf von gewalttätigen Männern vorgeht». Das sagt eigentlich schon alles, trotzdem hatten wir die Hoffnung, etwas mehr zu lesen, als die blosse Wiedergabe dessen, was im Kopf eines Mannes vorgeht, der einer Frau gegenüber Gewalt ausübt (ja, das Buch geht nicht über diese binäre Aufteilung der Menschheit hinaus). Der Autor ist Journalist, er kennt sich mit Story-Telling aus, und plötzlich können wir nicht mehr aufhören zu lesen. Doch jedes Mal, wenn wir das Buch zur Seite legen, fühlen wir uns unwohl, und je mehr wir lesen, desto mehr fragen wir uns, ob wir nicht einfach Zeit verlieren. Wir bleiben dran und bei der letzten Seite angekommen, stellen wir fest: Es lohnt sich wirklich nicht, dieses Buch zu lesen! Es sei denn, ihr seid masochistisch veranlagt. Die viel zu zahlreichen Erfahrungsberichte von «gewalttätigen Männern» rufen bei der Leserin eine Empathie hervor, die sie gar nicht empfinden will, und für Menschen, die männliche Gewalt erlebt haben, ist die Lektüre unzumutbar. Diese Art und Weise, wie Gewalt gerechtfertigt wird und wie «der Frau» die Verantwortung zugeschoben wird, haben wir schon oft gehört – und jedes einzige Mal war ein Mal zu viel. Vielleicht hat der Autor aber auch einfach verstanden, dass sich ein Buch viel besser verkauft, wenn Männer zu Wort kommen… auch wenn der Informationsgehalt gegen Null tendiert.

Damit ihr euch das Lese-Unvergnügen ersparen könnt, hier eine Zusammenfassung des Buches: Der Autor findet plötzlich Interesse an der Gewalt von Männern, beginnt an Gesprächsgruppen von gewalttätigen Männern teilzunehmen und gibt ihre Worte auf 200 Seiten wieder. Dazwischen zitiert der Autor zweimal Virginie Despentes (endlich ein Lichtblick!) und einige Psycholog*innen und Fachpersonen, die uns erklären, dass Männer gewalttätig sind und Frauen diese Gewalt provozieren und sie erdulden, ohne den Mann zu verlassen, weil sie in der Kindheit von Gewalt «angesteckt wurden». Der Autor lässt auch eine Psychoanalystin zu Wort kommen, die erzählt, dass sie jeweils die Mutter treffen will, wenn sie ein Gutachten über einen gewalttätigen Mann schreiben muss, weil «es häufig ein inzestuöses Verhältnis gibt» (falls ihr noch einen Beweis dafür brauchtet, dass die Psychoanalyse wirklich nur ein Haufen Bullshit ist!) Nachdem uns der Autor eine Unzahl von detaillieren Beschreibungen von unerträglicher Gewalt und die jämmerlichen und frauenfeindlichen Ausreden, welche die Männer sich gegenseitig erzählen, zugemutet hat, schliesst er damit, dass es keine andere Lösung für diese «Epidemie» gäbe, als die Kinder besser zu erziehen.  

Das Einzige noch halbwegs Interessante an diesem Buch ist der Moment, als der Autor erstaunt realisiert, dass gewalttätige Männer keine Monster sind, sondern «unsere Väter, unsere Brüder, unsere Freunde». Da diese Information ja schon im Titel des Buches steht, könnt ihr euch gleich die restliche Lektüre ersparen!

Falls ihr euch jetzt fragt, was unsere Haltung ist und von welchem Standpunkt aus wir das Buch beurteilen: Gewalttätigen Männern und ihren Rechtfertigungen so viel Platz einzuräumen, ohne sie in Frage zu stellen, und die (Mit-)Verantwortung von Frauen so stark zu betonen, lässt stark an die Maskulinisten und Männerrechtler denken, die versuchen, die strukturelle Natur der sexistischen Gewalt in einem Meer von Männertränen zu ertränken. Das können wir so nicht stehen lassen.

Anstatt uns zu sagen, die Kinder besser zu erziehen, hätte der Autor vielmehr die Sozialisierung hinterfragen können, die auf der einen Seite zu gewalttätigem und auf der anderen Seite zu selbstzerstörerischem Verhalten führt, die wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen kritisieren können, die dazu führen, dass ein Mensch sich nicht aus einer Gewaltsituation befreien kann, oder ganz einfach sagen können, dass es inakzeptabel ist, einem anderen Menschen Gewalt anzutun und dass es immer in der Verantwortung des Täters liegt, eine Lösung zu finden, um keine Gewalt mehr auszuüben.