Am 14. Juni wurde eine Frau in Martigny (VS) getötet. Wir wissen nicht mit Sicherheit, wer der Täter ist.
Aus den Medien haben wir erfahren, dass die Polizei kurz nach Mitternacht von einer Drittperson kontaktiert worden ist. Die Frau war schon verstorben, ihr Ehemann liegt schwerverletzt im Spital. Die Walliser Kantonspolizei will nicht mehr kommunizieren, bevor der genau Tathergang nicht geklärt sei.
Weshalb wir uns trotzdem entschieden haben, den Tod der 50-jährigen Frau als Feminizid zu betrachten:
1. Ein Feminizid ist nicht in jedem Fall eine „Beziehungstat“
Auch wenn es in den Medien noch immer oft so dargestellt wird, ist der Täter im Falle eines Feminizids nicht unbedingt der (Ex-)Partner. Ein Feminizid ist ein Mord, der durch die strukturelle Gewalt an Frauen und Personen, die als Frauen gelesen werden, ermöglicht wurde. Feminizide beruhen auf patriarchalen Vorstellungen, wie eine Frau sich zu verhalten habe und wer über ihren Körper bestimmen darf. In manchen Fällen steckt hinter einem Feminizid auch reiner Frauenhass. In jedem Fall hat der Feminizid mit dem (zugeschriebenen) Gender der getöteten Person zu tun.
2. Es war keine Zufallstat
Wie vorhergehend festgestellt, ist nicht relevant, ob der Ehemann oder eine andere Person für den Mord verantwortlich ist. Die 50-Jährige wurde aber bei ihr zu Hause getötet und die Polizei hätte auf jeden Fall kommuniziert, falls sie davon ausginge, dass eine unbekannte Person in die Wohnung eingedrungen ist oder es sich um einen Raubmord handelte. Unsere verstorbene Schwester kannte also den Täter. Eine Person aus ihrem Umfeld fühlte sich im Recht, ihr das Leben zu nehmen. Dieses ultimative Besitzergreifen des weiblichen Körpers ist für uns eine der Definitionen eines Feminizids.
3. Wir kehren die Vermutung um
Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass die Polizei (insbesondere die Walliser Polizei) nur in wenigen Fällen über die weiteren Untersuchungsergebnisse berichten. Die Statistiken zeigen uns aber, dass wenn Frauen und als Frauen gelesene Menschen in der Schweiz gewaltsam sterben, es sich mehrheitlich um einen Feminizid handelt. Deshalb kehren wir ab jetzt die Vermutung um: Bevor bewiesen ist, dass es sich nicht um einen Feminizid handelt, gehen wir von einem Feminizid aus.
Wir haben genug davon, wie die Polizei und die Justiz im Namen der Unschuldsvermutung oder der Wahrung der Privatsphäre Feminizide verschleiern. Wir lassen uns nicht mehr vorschreiben, wie und wann wir um eine getötete Schwester trauern und welche Worte wir verwenden. Der Begriff „Feminizid“ wurde eingeführt, weil wir eine politische Definition brauchen für diese Taten, die so viele unserer Geschwister dem Leben entreissen. Wir brauchen diese politische Definition, weil die Justiz nicht auf unserer Seite steht und uns nicht schützt.
Deshalb trauern wir um unsere getötete Schwester aus Martigny, deren Leben am 14. Juni 2025 durch einen Feminizid ausgelöscht wurde. Wir drücken ihren Liebsten unser tiefstes Mitgefühl aus und wir werden ihren Tod nicht vergessen.