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Statement

Solidarität mit allen Frauen*, die sich verteidigen

Eine junge Frau hat 2020 in Zürich Wollishofen ihrer Mutter das Leben gerettet.


Aus der Presse war zu erfahren, dass die junge Frau in ein Zimmer ging und sah, wie ihr Vater mit einer Pistole auf ihre Mutter schoss und versuchte, sie zu erwürgen. Die junge Frau, die zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt war, ging auf ihn zu, schubste ihn und nahm ihm die Pistole ab. Als der Vater drohte, sie beide zu töten, schoss sie in Notwehr auf ihn und rettete so ihrer Mutter das Leben.

Nun wird sie wegen Mordes angeklagt und muss vor Gericht erscheinen.


Wir möchten ihr sagen, dass wir sie von ganzem Herzen unterstützen. Es ist so ungerecht, dass sie sich auf der Anklagebank wiederfindet, obwohl sie ein Leben gerettet hat.

Wir haben genug von dieser Patriarchenjustiz, die Menschen kriminalisiert, die sich gegen patriarchale Gewalt wehren, aber nichts tut, um diese Gewalt zu verhindern. In Frankreich wurde Alexandra Richard zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie in Notwehr ihren Ehemann getötet hatte, der sie gefoltert und bedroht hatte. Sie befindet sich derzeit im Gefängnis. Zum Vergleich: Bertrand Cantat wurde zu 8 Jahren verurteilt, weil er seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Marie Trintignant, zu Tode geprügelt hatte. Zuvor hatte er bereits körperliche Gewalt gegen mehrere seiner ehemaligen Lebensgefährtinnen ausgeübt.


In einem Land wie der Schweiz, in dem alle zwei Wochen ein Feminizid begangen wird, muss man dafür kämpfen, dass das Recht auf Selbstverteidigung gegen patriarchale Gewalt anerkannt wird.
Denn Selbstverteidigung ist in fast allen Situationen das einzige wirksame Mittel, um sich zu verteidigen. Doch leider gibt es viele Barrieren, die die Betroffenen oft davon abhalten, sie zu nutzen. Viele dieser Barrieren sind psychologisch bedingt und es ist möglich, sie zu überwinden. Ein Umdenken zu bewirken, indem man laut und deutlich sagt, dass Selbstverteidigung legitim ist, hilft, einige dieser Barrieren zu durchbrechen.


An die junge Frau, die ihre Mutter beschützt hat: Wenn du hier liest, wisse, dass wir hinter dir stehen und wünschen dir viel Mut für den Prozess.


Melde dich bei uns, wenn wir dich in irgendeiner Weise unterstützen können.

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Statement

Bertrand Cantat und die Feminizidkultur

Gerne hätten wir nie mehr Zeit darauf verschwenden müssen, über den Musiker Bertrand Cantat zu sprechen…! Doch jetzt wo Cantat, der seinen Feminizid an der Schauspielerin Marie Trintignant seit 20 Jahren mit seiner «Liebe» und seiner «Leidenschaft» für das Opfer rechtfertigt, sich doch tatsächlich anmasst, wieder auf die Bühne steigen zu wollen, haben wir auch erfahren, dass die Namen von Trintignant und Cantat regelmässig von französischsprachigen Rappern verwendet werden… in Lieder, die Gewalt gegen Frauen und feminisierte Menschen bis zu Feminiziden über alle Masse verherrlichen.

Wir sind schockiert, wir sind wütend.

Wenn wir dieses Phänomen zu kontextualisieren versuchen, dann kommen wir zum Schluss, dass es so etwas wie eine «Feminizidkultur» gibt, so wie es auch eine Vergewaltigungskultur gibt. Ein System von Ideen, Bildern, Aussagen und Verhalten, die allesamt dazu beitragen, dass körperliche Gewalt bis zur Tötung von Frauen und feminisierten Menschen normalisiert, banalisiert und gerechtfertigt werden.

Die Vorstellung von der Mitverantwortung der misshandelten Frau/feminisierten Person ist noch immer sehr tief verankert. Das Tabu rund um physische Gewalt besteht weiter und diese Geschehnisse werden in den Bereich des Privaten verbannt (wovon auch die Verwendung von Begriffen wie «Familiendrama» zeugt), in den Aussenstehende sich nicht einzumischen haben. Frauen und feminisierte Menschen, die sich gegen ihre Angreifer wehren, werden kriminalisiert und verurteilt, als hätten sie sich eher für den Tod entscheiden müssen, als sich zu verteidigen (was in Fällen von «nicht-häuslicher Gewalt» jedoch manchmal als legal angesehen wird).

Das Konzept der Vergewaltigungskultur und dasjenige der Feminizidkultur verweisen auch darauf, dass der gesellschaftliche Kontext dazu führt, dass solche Handlungen überhaupt vorstellbar und durchführbar werden. Ein Feminizid wird nicht von einem Verrückten verübt, der komplett von der Gesellschaft abgeschnitten gewesen wäre. In unserer Gesellschaft lernen die Männer noch immer, dass sie das Recht haben, den Körper einer Frau oder einer feminisierten Person zu besitzen (ihn anzuschauen, zu berühren, von seiner unbezahlten Arbeit zu profitieren, ihn zu kontrollieren, ihn sexuell zu benutzen, ihn zu töten).

Nun hört natürlich nicht alle Welt französischen Rap, der vorgibt, man müsse eine Frau oder feminisierte Person töten, um ein richtiger Mann zu sein. Aber solange unsere Gesellschaft eine so brutale Tat wie diejenige von Bertrand Cantat nicht als Feminizid bezeichnen, nicht kategorisch verurteilen und nicht laut und deutlich sagen kann, dass niemand aus Liebe oder Leidenschaft tötet, ja dann existiert tatsächlich eine Kultur, die für weitere Feminizide verantwortlich sein wird. Die oben erwähnten Rapper beschreiben einfach unverblümter und expliziter das Problem mit unserer Gesellschaft und wie die unterschiedlichen Genderrollen verstanden und konstruiert werden.

Zum Glück gibt es auch geniale Musikschaffende, die eine entschieden feministische Kultur erschaffen!

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Selbstverteidigung Statement

Selbstverteidigung gegen patriarchale Gewalt ist legitim!

An die Frau in Thonon-les-Bains: Wir glauben, dass du aus Notwehr gegen deinen gewalttätigen Partner gehandelt hast. Wenn dies der Fall ist, hast du unsere volle Unterstützung.

Im März 2023 hat eine Frau in Thonon, in der Nähe von Genf, ihren Partner erstochen. Wenn eine Frau ihren Partner oder Ehemann physisch verletzt, wird oft vorschnell von häuslicher Gewalt ausgegangen, doch in vielen solchen Fällen sieht die Realität anders aus.


Während physische Angriffe von Männern meist angewandt werden, um einen Besitzanspruch zu untermauern, werden sie von Frauen in der überwiegenden Mehrheit als Selbstverteidigung ausgeübt. Beim Weiterlesen erfährt man in der Presse, dass der betreffende Lebensgefährte im Jahr 2022 wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurde.

Als Kampagne, die gegen Feminizide kämpft, sagen wir laut und deutlich, dass Selbstverteidigung gegen patriarchale Gewalt legitim ist. An alle Menschen, die sich für das Leben entschieden und einen Weg gefunden haben, sich zu verteidigen: Wir unterstützen euch von ganzem Herzen.

Auf der ganzen Welt werden Tausende von Frauen kriminalisiert, weil sie ihr Leben gerettet haben. In Frankreich wurde Alexandra Richard zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie ihren Ehemann, der sie gefoltert hatte, getötet hat.

Es ist von grösster Bedeutung, alle Frauen und alle von patriarchaler Gewalt betroffenen Menschen zu unterstützen, die kriminalisiert werden, weil sie in Notwehr gehandelt haben.

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Feminizid Statement

Ältere Frauen: ignorierte Opfer von Feminiziden

Sie war 79 Jahre alt und wohnte in Siders. Ihren Namen kennen wir nicht. Eine Nachbarin beschreibt sie als eine sanfte und lächelnde Person. Am 21. März 2023 wurde sie von ihrem Ehemann mit mehreren Messerstichen getötet.
Ein «Familiendrama», wie es in der Pressemitteilung der Polizei heisst. Ein unbegreiflicher Mord, er war ein «so netter» Mann, berichtet eine Nachbarin.
Diese Morde sind jedoch das Ergebnis einer gewöhnlichen Barbarei, einer systemischen Gewalt. Es handelt sich nicht um private Morde, die von Monstern begangen werden, sondern um Massenmorde, für die wir eine kollektive Verantwortung haben.
Diese brutale Gewalt kennt keine Altersgrenze und Feminizide an älteren Frauen werden häufig ignoriert oder verharmlost. Dabei haben ältere Frauen ein hohes Risiko, von patriarchaler Gewalt betroffen zu sein, insbesondere aufgrund ihrer Isolation und der finanziellen Abhängigkeit von ihren Partnern aufgrund ihrer niedrigeren Renten.
Diese Gewalt ist kein unabwendbares Schicksal! Auch wenn das patriarchale System ältere Frauen unsichtbar macht, hindert es sie nicht daran, sich zu mobilisieren. Und wenn ältere Frauen an der Seite von jungen Frauen, Trans- und Queer-Personen kämpfen, kann das patriarchale System wanken.


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Statement

Das Patriarchat tötet, die Polizei auch

Vor 2 Jahren, am 19. März 2021, wurde Evangelista Mañón Moreno (Eli) in Bussigny von ihrem Partner getötet. Er war Polizist in Lausanne und hat Eli mit seiner Dienstwaffe getötet. Vorher hat er Alarm geschlagen und gesagt, er fürchte, mit der Waffe «eine Dummheit anzustellen», doch er wurde nicht ernst genommen. Ein Polizist, der tötet, ist unvorstellbar…? Und doch kommt es häufiger vor, als viele denken!

Wir stehen noch unter Schock nach dem vierfachen Feminizid in Yverdon-les-Bains am 9. März 2023. Der Täter hat nicht nur seine drei Töchter und seine Ex-Partnerin Coralie, Alyssia, Madyson und Chelsey erschossen, er hat auch das Haus buchstäblich in die Luft gejagt. Nichts sollte mehr übrig bleiben vom Leben der vier Frauen. Der Täter war früher Polizist.

Der zweite Feminizid in zwei Jahren verübt durch einen Polizisten im Kanton Waadt. Ist das wirklich Zufall? Leider nein. Feminizid ist eine äusserst extreme Folge dessen, was es heisst, in der Schweiz «als ein Mann» aufgewachsen zu sein und zu leben. Seine Emotionen nicht anders verarbeiten können als durch Wut und Gewalt, nicht effektiv nach Hilfe bitten können, glauben, es sei gerechtfertigt und ein Recht, die Personen zu besitzen, mit denen man in einer Beziehung lebt.

Privatbesitz, habt ihr gesagt? In der Schweiz ist kein Gut rechtlich so gut geschützt. Die Gesetze erlauben es den Gerichten, eine Person, die einer anderen etwas gestohlen hat, strenger zu bestrafen, als eine Person, die ein Leben genommen hat. Und sie tun es mit einer erschreckenden Systematik. Die Aufgabe der Polizei besteht darin, den Rechtsstaat zu verteidigen. Es ist also nicht erstaunlich, dass in einem Land, das den Privatbesitz so hoch hält, Polizisten über einen stark ausgeprägten Sinn für Besitz verfügen. Dazu kommen noch die Gewohnheit, eine Feuerwaffe zu tragen und zu benutzen sowie Gewalt auszuüben, die Kameraderie und die Kollegen, die einem immer wieder in Erinnerung rufen, was es heisst «ein richtiger Mann» zu sein, die Tatsache, dass man als Polizist in der Schweiz praktisch straflos bleibt (was von zahlreichen NGOs und internationalen Organisationen kritisiert wird).

Unser Rechtsstaat ist auch patriarchal, das heisst, er wurde nach dem Modell einer Familie mit einem Familienvater als Vorsteher geschaffen und diese Lebensweise gilt auch als die Norm. Zahlreiche Gesetze wie zum Beispiel das geltende Steuer- oder Familienrecht zeugen nach davon. Die Frau ist dem Mann unterstellt: Die Polizei, der bewaffnete Arm des Staates und Garant von öffentlicher Ordnung und guten Sitten, verteidigt auch dieses Verständnis der Beziehung innerhalb eines Paares.

Wir werden die Geschichten von Eli, Coralie, Alyssia, Madyson und Chelsey nicht vergessen. Ihr Tod ist nicht nur dem Patriarchat verschuldet, sondern auch der Polizei als Institution.

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Ein Vierfachmord ist kein Familiendrama

Am letzten Donnerstag wurden in einem abgebrannten Haus in Yverdon-les-Bains fünf Personen tot aufgefunden, gestern Samstag hat die Waadtländer Polizei kommuniziert, dass alle Personen Schusswunden hatten und neben dem Vater eine Pistole gefunden worden war. Es werde von einem «Familiendrama» ausgegangen, schreibt die Polizei in ihrer Medienkommunikation. Alle bisherigen Medienberichte übernahmen diesen Ausdruck…

Die drei Mädchen wurden 5, 9 und 13 Jahre alt, die Frau 40 Jahre alt. Sie wurden höchstwahrscheinlich eine nach der anderen von ihrem Vater beziehungsweise Ex-Partner erschossen. Zweifellos ein Drama, aber eines, dem der Begriff «Familiendrama» nicht gerecht wird.

«Familiendrama» lässt verstehen, dass es sich um einen innerfamiliären Vorgang handelte, etwas, das zu Hause, im Privaten stattgefunden hat. Gewalt im häuslichen Umfeld hat aber immer einen soziale, gesellschaftliche Komponente (die sozialen Umstände, die dazu führen, dass eine Person Gewalt als eine Lösung sieht; wie wir in unserer Gesellschaft lernen, Beziehungen und Trennungen zu leben; die Tatsache, dass Gewalt immer noch weitgehend Bestandteil der Sozialisierung als Mann ist) und geht uns alle an.

Zu lange schon wird Gewalt gegen Frauen* als Privatsache abgetan, als eine Angelegenheit, die zwischen den zwei betroffenen Personen gelöst werden müsse. Je länger wir Begriffe wie «Familiendrama» benutzen oder akzeptieren, desto länger normalisieren wir diese Gewalt und machen sie möglich. Der vierfache Feminizid von Yverdon-les-Bains ist eine äusserst dramatische Erinnerung daran, dass wir die Augen nicht verschliessen dürfen.

Es gibt keine «Familiendramen», es gibt nur Gewalt, die uns alle etwas angeht und gegen die wir uns alle solidarisch und entschieden wehren müssen!

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Statement

Kritik an der neuen Opferhilfestrategie des Kantons Bern

Im November des letzten Jahres hat der Berner Regierungsrat die kantonale Opferhilfestrategie 2023-2033 verabschiedet. Bereits in der Vernehmlassung wurde das Strategiepapier von Fachstellen massiv bemängelt. Auch wir kritisieren die Strategie aus folgenden Gründen:


1. Rassistische und klassistische Massnahmen
Die vorgeschlagenen Massnahmen sind zu wenig auf die Bedürfnisse von Betroffenen ausgerichtet und legen stattdessen einen Fokus auf migrantische Täter*innen. Dadurch wird die Opferhilfestrategie für eine rassistische Migrations- und Asylpolitik missbraucht ohne Gewaltbetroffene zu stärken. Auch die vorgeschlagene Kürzung der Sozialhilfe als repressives Mittel gegen Täter*innen ist keine wirksame Strategie gegen patriarchale Gewalt, sondern eine Ungleichbehandlung von Täter*innen je nach Klassenhintergrund. Zudem bestraft je nach dem die Kürzung der Sozialhilfe nicht nur den*die Täter*in sondern auch die von der Gewalt betroffenen Person, da sie möglicherweise in einem Abhängigkeitsverhältnis zu dem*der Täter*in steht.


2. Binäre Logik
Die gesamte Opferhilfestrategie ist ausschliesslich auf Frauen und Mädchen ausgerichtet. Viele von patriarchaler Gewalt betroffene Personen werden dadurch unsichtbar gemacht und von Schutzangeboten ausgeschlossen. Eine Opferhilfestrategie sollte alle TINFA-Personen einschliessen (TINFA= trans, inter nonbinary, female, agender). Gerade trans Menschen und nonbinäre Menschen erfahren in der patriarchalen und heteronormativen Gesellschaft, in der wir leben, besonders viel Diskriminierung und Gewalt – die meisten «Schutzorte» sind ihnen jedoch nicht zugänglich.

3. Abbau von Unterstützungsstrukturen
Eine Opferhilfestrategie sollte sich an den Betroffenen ausrichten: die Angebote sollten bedarfsorientiert und niederschwellig sein. Mit dem vorgesehenen Abbau der bestehenden Strukturen (z.B. Schliessung des Standorts Berner Oberland, Verunmöglichung einer Erröffnung eines Mädchenhauses) sowie der fehlenden Sprechung von Geldern wird der niederschwellige Zugang massiv eingeschränkt. Dies während gleichzeitig die Anzahl von Betroffenen in den letzten Jahren ständig angestiegen ist.

4. Täter-Opfer Umkehr
In der Strategie ist vorgesehen, dass Gewaltopfer mit geringen deutschen Sprachkenntnissen dazu verpflichtet werden können sich «sprachliche Kompetenzen» anzueignen. Dies ist eine klassische Täter*innen-Opfer-Umkehr und diskriminierend. Die wichtigsten Kernthemen in der Opferberatung – die Beratung von traumatisierten Menschen und die damit nötige Zeit und Sorgfalt sowie die Sicherheit der Betroffenen – sind in der Strategie hingegen ausgeblendet.

Diese spezifische Kritik richtet sich an die Opferhilfestrategie 2023-2033. Wir finden es wichtig, dass es im Jetzt funktionierende, zugängliche und möglichst diskriminierungsfreie Hilfsangebote für Betroffene patriarchaler Gewalt gibt. Darüber hinaus halten wir aber eine grundlegende Kritik am bürgerlich-kapitalistischen Staat und revolutionäre Perspektiven für notwendig. Denn: Patriarchale Gewalt basiert auf patriarchalen Strukturen und dazu gehören auch staatliche und institutionelle Dimensionen. Der Staat und seine Institutionen wie Polizei und Justizsystem werden nie für alle Menschen Sicherheit vor patriarchaler und rassistischer Gewalt bieten und erst Recht nicht zum Ende von patriarchaler Gewalt beitragen.

Anstatt uns also auf Politiker*innen, Polizei, Richter*innen und andere Kompliz*innen des Patriarchats zu verlassen, müssen wir eigene gemeinschaftsbasierte Lösungen und Gesellschaftsentwürfe erarbeiten und erkämpfen, die auf gegenseitiger Sorge, Unterstützung und Solidarität basieren.

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Selbstverteidigung Statement

Bravo aber nein, danke!

Am 15. Januar wurde Christophe Moreau in Porrentruy verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Velosport-Fans kennen ihn unter anderem, weil er im Jahr 2000 bei der Tour de France Vierter wurde. Vor zwei Wochen hat er damit gedroht, seine Ex-Partnerin und seine zwei Töchter zu töten.

2019 hat die jurassische Polizei zahlreiche Hilferufe von Mélanie und ihrem Umfeld ignoriert. Mélanie wurde am 21. Oktober 2019 in Courfaivre von ihrem Ex-Partner umgebracht. In Reaktion darauf wurde der Verein «Association Mel» gegründet, um dafür zu sorgen, dass der Gewalt gegen Frauen und den Femiziden endlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Die schnelle und entschiedene Reaktion der jurassischen Polizei und Justiz hängt vielleicht damit zusammen, dass die Ex-Partnerin von Christophe Moreau eine im Kanton Jura bekannte und einflussreiche Persönlichkeit ist. Das Engagement des Vereines «Association Mel» hat aber zweifellos auch eine wichtige Rolle gespielt.

Wir möchten, dass die gesamte Gesellschaft uns verteidigt und wir dafür weder Polizei noch Justiz brauchen, aber bis es so weit ist, begrüssen wir das Zeichen, das die jurassischen Behörden an alle gewalttätigen Männer sendet.

Polizei und Justiz wurden geschaffen, um eine Gesellschaftsordnung zu verteidigen, in der gewisse Kategorien von Menschen mehr Macht haben als andere. Logischerweise haben die weniger mächtigen Gesellschaftsgruppen weniger Chancen, gehört zu werden, wenn sie sich an die Polizei und die Justiz wenden. Polizei und Justiz sind dazu da, ein System zu verteidigen, dass nur funktioniert, wenn «Frauen» weniger Macht haben und ausgebeutet werden können. Deshalb werden sie unsere Rechte und Sicherheit nie wirklich garantieren können.

Lernen wir, uns selbst zu verteidigen. Seien wir solidarisch untereinander und verurteilen wir jede Gewalthandlung entschieden und öffentlich. Damit wir eines Tages keine anderen Menschen mehr brauchen, um unser Leben und unsere Freiheit zu verteidigen.

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Statement

Buchkritik

Nos pères, nos frères, nos amis – Weshalb es sich nicht lohnt, dieses Buch zu lesen

Der Untertitel dieses Buchs, das kürzlich auf Französisch erschienen ist, lautet « Was im Kopf von gewalttätigen Männern vorgeht». Das sagt eigentlich schon alles, trotzdem hatten wir die Hoffnung, etwas mehr zu lesen, als die blosse Wiedergabe dessen, was im Kopf eines Mannes vorgeht, der einer Frau gegenüber Gewalt ausübt (ja, das Buch geht nicht über diese binäre Aufteilung der Menschheit hinaus). Der Autor ist Journalist, er kennt sich mit Story-Telling aus, und plötzlich können wir nicht mehr aufhören zu lesen. Doch jedes Mal, wenn wir das Buch zur Seite legen, fühlen wir uns unwohl, und je mehr wir lesen, desto mehr fragen wir uns, ob wir nicht einfach Zeit verlieren. Wir bleiben dran und bei der letzten Seite angekommen, stellen wir fest: Es lohnt sich wirklich nicht, dieses Buch zu lesen! Es sei denn, ihr seid masochistisch veranlagt. Die viel zu zahlreichen Erfahrungsberichte von «gewalttätigen Männern» rufen bei der Leserin eine Empathie hervor, die sie gar nicht empfinden will, und für Menschen, die männliche Gewalt erlebt haben, ist die Lektüre unzumutbar. Diese Art und Weise, wie Gewalt gerechtfertigt wird und wie «der Frau» die Verantwortung zugeschoben wird, haben wir schon oft gehört – und jedes einzige Mal war ein Mal zu viel. Vielleicht hat der Autor aber auch einfach verstanden, dass sich ein Buch viel besser verkauft, wenn Männer zu Wort kommen… auch wenn der Informationsgehalt gegen Null tendiert.

Damit ihr euch das Lese-Unvergnügen ersparen könnt, hier eine Zusammenfassung des Buches: Der Autor findet plötzlich Interesse an der Gewalt von Männern, beginnt an Gesprächsgruppen von gewalttätigen Männern teilzunehmen und gibt ihre Worte auf 200 Seiten wieder. Dazwischen zitiert der Autor zweimal Virginie Despentes (endlich ein Lichtblick!) und einige Psycholog*innen und Fachpersonen, die uns erklären, dass Männer gewalttätig sind und Frauen diese Gewalt provozieren und sie erdulden, ohne den Mann zu verlassen, weil sie in der Kindheit von Gewalt «angesteckt wurden». Der Autor lässt auch eine Psychoanalystin zu Wort kommen, die erzählt, dass sie jeweils die Mutter treffen will, wenn sie ein Gutachten über einen gewalttätigen Mann schreiben muss, weil «es häufig ein inzestuöses Verhältnis gibt» (falls ihr noch einen Beweis dafür brauchtet, dass die Psychoanalyse wirklich nur ein Haufen Bullshit ist!) Nachdem uns der Autor eine Unzahl von detaillieren Beschreibungen von unerträglicher Gewalt und die jämmerlichen und frauenfeindlichen Ausreden, welche die Männer sich gegenseitig erzählen, zugemutet hat, schliesst er damit, dass es keine andere Lösung für diese «Epidemie» gäbe, als die Kinder besser zu erziehen.  

Das Einzige noch halbwegs Interessante an diesem Buch ist der Moment, als der Autor erstaunt realisiert, dass gewalttätige Männer keine Monster sind, sondern «unsere Väter, unsere Brüder, unsere Freunde». Da diese Information ja schon im Titel des Buches steht, könnt ihr euch gleich die restliche Lektüre ersparen!

Falls ihr euch jetzt fragt, was unsere Haltung ist und von welchem Standpunkt aus wir das Buch beurteilen: Gewalttätigen Männern und ihren Rechtfertigungen so viel Platz einzuräumen, ohne sie in Frage zu stellen, und die (Mit-)Verantwortung von Frauen so stark zu betonen, lässt stark an die Maskulinisten und Männerrechtler denken, die versuchen, die strukturelle Natur der sexistischen Gewalt in einem Meer von Männertränen zu ertränken. Das können wir so nicht stehen lassen.

Anstatt uns zu sagen, die Kinder besser zu erziehen, hätte der Autor vielmehr die Sozialisierung hinterfragen können, die auf der einen Seite zu gewalttätigem und auf der anderen Seite zu selbstzerstörerischem Verhalten führt, die wirtschaftlichen und kulturellen Grundlagen kritisieren können, die dazu führen, dass ein Mensch sich nicht aus einer Gewaltsituation befreien kann, oder ganz einfach sagen können, dass es inakzeptabel ist, einem anderen Menschen Gewalt anzutun und dass es immer in der Verantwortung des Täters liegt, eine Lösung zu finden, um keine Gewalt mehr auszuüben.

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Aktion Statement

Transgender Tag der Erinnerung

Für Sangeetha,

für Malte C,

für Hande Kader,

für Ivana Macedo Silva,

für Naomi Hersi,

für Ambre Audrey Istiere,

für Essi Granlund,

für Samuel Hoffmann,

für alle getöteten trans Personen.

Weil die Transphobie und die Frauenfeindlichkeit töten. Weil diese Morde das Resultat einer strukturellen Gewalt sind, die sich gegen trans Personen und Menschen mit unterschiedlichen Genderidentitäten wendet. Das heteropatriarchale System etabliert eine Hierarchie zwischen den Geschlechtern, in der das Männliche über dem Weiblichen steht und die Heterosexualität die Norm ist. Menschen, die nicht in diese Kategorien passen, stellen eine Bedrohung für dieses herrschende System dar. Die Geschichte der Transphobie ist eng verknüpft mit dem Kolonialismus und der Durchsetzung einer Norm, die ausbeuterische Beziehungen rechtfertigt. Zahlreiche Kulturen überall auf der Welt kannten und zelebrierten die Genderdiversität. Trans Personen waren «Mudoko dako» in Uganda, «Menschen mit zwei Seelen» für die Indigenen in Amerika, «Muxes» in Oaxaca. An gewissen Orten haben diese Kulturen die Brutalität des Kolonialismus und die Einführung des Kapitalismus überlebt.

Das kapitalistische System führt einen richtigen Krieg gegen die trans Personen. Sie stehen deshalb an vorderster Front im Kampf gegen alle Formen der Unterdrückung.

Marsha P. Johnson, eine Schwarze trans Frau und Sexarbeiterin, ist zweifellos am bekanntesten. Sie nahm an den Stonewall-Unruhen teil, die zur Entstehung einer kämpferischen LGBTQI+-Bewegung führten. Sie hat unter anderem die «Street Transvestite Action Revolutionaries» mitgegründet, um junge Obdachlose aus der LGBTQI+-Gemeinschaft zu beherbergen. Ihr Körper wurde in einem Fluss gefunden. Die Polizei hat ihren Tod als Selbstmord bezeichnet, ihr Umfeld spricht von Mord.

Malte C. ist ein trans Mann, ein Held, der gestorben ist, als er zwei Personen verteidigt hat, die während der Pride in Münster (Deutschland) im September 2022 angegriffen wurden. Er war 25 Jahre alt.

Hande Kader ist eine trans Frau, eine Aktivistin, die bekannt war dafür, sich gegen die Polizei gestellt zu haben, nachdem die Regierung die Pride-Parade in Istanbul verboten hatte. Sie war 23 Jahre alt, als sie ermordet wurde.

Sangeetha ist eine trans Frau und Mitglied eines Vereins für trans Personen. Sie hat eine Gemeinschaftsküche gegründet, um trans Menschen zu unterstützen, die während der COVID-Krise ihre Einkünfte verloren haben. Sie wurde im Oktober 2020 in Indien ermordet, sie war 60 Jahre alt.

Iyana Macedo Silva ist eine trans Frau und Mitglied der LGBTQI+-Gemeinschaft. Sie war Stylistin und lebte in der französischen Region Hauts-de-Seine. Sie wurde im September 2021 ermordet.

Naomi Hersi ist eine trans Frau aus London, beschrieben als eine sanfte und selbstbewusste Person. Sie wurde im März 2018 im Alter von 36 Jahren ermordet.

Essi Grandlund ist eine trans Frau aus Finnland. Sie wurde im Juni 2020 erstochen. Sie war 26 Jahre alt.

Samuel Hoffmann ist ein trans Mann, der in Billesholm in Schweden lebte. Er wurde im Februar 2022 ermordet. Sein Alter ist nicht bekannt.

Wir vergessen ihre Geschichten nicht. Sich erinnern heisst kämpfen.

Feminist*innen, trans Aktivist*innen und Aktivist*innen anderer Genderidentitäten kämpfen gemeinsam, um den Kapitalismus abzuschaffen und ein freies Leben zu erschaffen.